Di, 13.12.2016 , 13:36 Uhr

Dresdner Chirurgen behandeln Gustavs Fehlbildung deutlich schonender

Dresden - Gustav ist das sechste Neugeborene, bei dem Experten der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Dresden eine fehlgebildete Speiseröhre minimalinvasiv rekonstruiert haben. Die Klinik gehört zu den wenigen Zentren in Deutschland, die diese komplizierte Operationstechnik auch bei Babys anwendet.

Gustav war erst zwei Tage alt, als er am 18. Oktober 2016 im Dresdner Uniklinikum operiert wurde. Nach einem dreieinhalbwöchigen stationären Aufenthalt kehrte er mit seiner Mutter in die Oberlausitz zurück, wo seine vier Geschwister auf ihn warteten. Seit der Operation entwickelt sich der Junge bestens.
Statt eines großen Schnittes im Bereich des Brustkorbs und extrem gespreizten Rippen nutzen die Kinderchirurgen sogenannte thorakoskopische Instrumente, um den Eingriff auszuführen. Diese Instrumente werden über Röhrchen in den Körper eingeführt, so dass nur vier sehr kleine Schnitte nötig sind, um die Organe zu erreichen.
„Für uns Chirurgen ist der Erfolg dieser Form des Eingriffs ein Ritterschlag“, sagt Prof. Guido Fitze. Das Team des Direktors der Klinik für Kinderchirurgie nutzt seit fünf Jahren minimalinvasive Operationsverfahren, um auch bei Neugeborenen Fehlbildungen zu korrigieren. „Die besondere Herausforderung bei der Rekonstruktion von Speiseröhren besteht darin, dass wir im Prinzip nur einen Versuch haben“, sagt der stellvertretende Klinikdirektor Dr. Christian Kruppa. Denn bei diesem Eingriff müssen die Chirurgen die Naht an der Speiseröhre in höchster Perfektion ausführen, damit sie schnell und vollständig ausheilt. Die Speiseröhre darf auf keinen Fall undicht sein, sonst treten Speisereste aus, die schwere Entzündungen verursachen, die das Zusammenwachsen des Gewebes verhindern.

Etwa eines von 3.500 Neugeborenen kommt mit einer Fehlbildung der Speiseröhre zur Welt. In den meisten Fällen endet der obere Teil in einem sogenannten Blindsack, während der untere Teil den Magen mit der Luftröhre verbindet. So war es auch bei Gustav. Als Neugeborener spuckte er die Muttermilch gleich wieder aus. Da zudem sein Bauch durch Luft gebläht war, hatte die Hebamme schnell die Vermutung, dass etwas mit der Speiseröhre nicht stimmte. Der Junge wurde sofort ins Dresdner Uniklinikum verlegt.

 

Dr. Christian Kruppa mit Hannelore und Gert Zenker sowie Prof. Guido Fitze (hintere Reihe v.l.n.r.). Neben dem kleinen Gustav ist sein größter Bruder Eduard zu sehen. Vor ihm stehen Heinrich, Friedrich und Hermine (v.l.n.r.).
Dr. Christian Kruppa mit Hannelore und Gert Zenker sowie Prof. Guido Fitze (hintere Reihe v.l.n.r.). Neben dem kleinen Gustav ist sein größter Bruder Eduard zu sehen. Vor ihm stehen Heinrich, Friedrich und Hermine (v.l.n.r.).

In einer eineinhalbstündigen Operation trennten die Kinderchirurgen den unteren Teil der Speiseröhre von der Luftröhre, öffneten dann den verschlossenen oberen Teil und fügten beide zusammen. „Noch vor 50 Jahren sind alle Babys mit dieser Fehlbildung gestorben“, erklärt Prof. Fitze. Seit dieser Zeit etablierte sich die Kinderchirurgie als eigenständiges Fach und verzeichnet parallel zur Erwachsenenchirurgie einen enormen Aufschwung. Doch erst seit wenigen Jahren nutzen die Kinderchirurgen minimalinvasive OP-Techniken, um Fehlbildungen bei Neugeborenen zu korrigieren. Häufiger als die der Speiseröhre werden jedoch Brüche des Zwerchfells verschlossen und Fehlbildungen der Harnröhre und des Darms korrigiert. Bei diesen leichteren Eingriffen bauten die Kinderchirurgen einen Erfahrungsschatz auf, der ihnen nun zu Gute kommt. „Wir haben vor der Operation missgebildeter Speiseröhren großen Respekt“, sagt Dr. Kruppa. Auch deshalb, weil es jedes Jahr in Sachsen nur etwa zehn dieser Fälle gibt, so dass sich nur schwer eine entsprechende Kompetenz aufbauen lässt. Schulungen und Probe-Operationen bei kleinen Tieren halfen den Chirurgen, in diesen seltenen Fällen erfolgreich operieren zu können.

Der Ablauf einer offenen Operation an der Speiseröhre verdeutlicht die Vorteile der Schlüssellochchirurgie: Beim herkömmlichen Verfahren müssen die Chirurgen die Rippen stark spreizen, um bis zur Speiseröhre vordringen zu können und genügend Bewegungsfreiheit zu haben. Damit steigt das Risiko von Knochenbrüchen und darauf folgend Wachstumsstörungen. Auch muss bei einer offenen OP die Lunge zur Seite gedrückt und Gewebe und Gefäße durchtrennt werden. „Bei einem minimalinvasiven Eingriff respektieren wir die Anatomie“, sagt Prof. Fitze. Die Bewegungsfreiheit bei dieser OP-Technik schaffen die Chirurgen dadurch, dass der operierte Bereich mit Kohlenstoffdioxid (CO2) aufgebläht wird. Schnitte durch Gewebe und Gefäße lassen sich so vermeiden. Die Neugeborenen profitieren davon, weil sie während und nach der Operation weniger Schmerzmittel benötigen und sich deutlich schneller erholen. Für die Ärzte besteht ein wesentlicher Vorteil der Schlüssellochchirurgie darin, dass neben den Instrumenten eine Optik in den Körper eingeführt wird. Sie liefert hochauflösende, vergrößerte Bilder: „So können wir während der Operation auf einem Bildschirm genauer sehen, was wir tun“, so Dr. Kruppa.

„Wir sind sehr beeindruckt von dem, was die Chirurgen geleistet haben“, sagt Gustavs Vater. Für sein Dafürhalten ist es die Kombination von Wissen und höchstem handwerklichen Können, die den Erfolg ermöglicht habe. Für die Mutter zählt vor allem, dass sich ihr jüngster Sohn nach den dreieinhalb Wochen im Uniklinikum mittlerweile gut in der Familie eingelebt hat: „Ich merke keinen Unterschied, in Gustavs Entwicklung“, sagt sie mit Blick auf seine Schwester und seine drei Brüder, die sich liebevoll um den jüngsten Spross der Familie kümmern.

Quelle: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden