In der heutigen Zeit ändern sich Fertigungsmethoden vielfach im Jahresrhythmus. Bei großen Glocken hingegen hat sich seit dem Ende des Mittelalters fast gar nichts am grundsätzlichen Prinzip geändert.
„Fest gemauert in der Erden steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muss die Glocke werden, frisch Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß, rinnen muss der Schweiß.
Soll das Werk den Meister loben, doch der Segen kommt von oben“.
So mancher Leser wird diese Zeilen noch aus der Schulzeit kennen – die erste Strophe aus „Das Lied von der Glocke“ aus der Feder Friedrich Schillers. Einige werden vielleicht auch die verkürzte, verballhornte Schulhof-Version kennen: „Loch in die Erde, Bronze ´rin, Glocke fertig, bimm, bimm, bimm“.
Für viele Menschen beschränkt sich der Umgang mit Glocken auf solche lyrischen Formen und das Hören ihres Betriebs – egal ob aus Kirchentürmen, von Rathausdächern oder anderen Orten schallend. Dabei ist die Herstellung dieser Klangkörper nicht nur eine Kunst für sich, sondern gerade aus heutiger Sicht interessant. Denn die Großglockenfertigung ist eines der ganz wenigen Handwerke, an denen CNC-Fräsen und andere neuzeitliche Techniken und Herangehensweisen bis dato scheitern – zumindest in Deutschland.
Ein hängender, eben glockenförmiger Hohlkörper aus Metall. Wird er außen angeschlagen oder innen durch einen Klöppel getroffen, erklingt der Körper, vom Schlag in Schwingung versetzt, in einer genau justieren, nicht veränderlichen Tonlage.
Nach diesem Rezept arbeiten nicht nur heutigen Glocken, sie taten es auch schon etwa 1.500 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung. Damals war China in Sachen Metallurgie (also die Lehre von Metallen, deren Herstellung und Eigenschaften) weltweit führend. Nicht nur konnte man bereits damals Glocken fertigen, sondern sie waren korrekt entsprechend der sogenannten chinesischen Tonleitern gestimmt.
In unseren Breiten kannte man lange Zeit nur deutlich kleinere Handglocken. Ab Beginn des Frühmittelalters, zirka in den 700er Jahren, wurden jedoch bei uns ebenfalls größere Glocken für christliche Riten angefertigt.
In den folgenden etwa 800 Jahren wurde viel entwickelt. Unter anderem entstand so die typische Form, die wir heutzutage als Glocke definieren (frühere Glocken waren eher wie Bienenkörbe geformt). Etwa um das Jahr 1500 war die Glocke sozusagen ausentwickelt:
Bis über die Zeit der Industrialisierung hinaus wurden Glocken über Jahrhunderte hinweg so gefertigt wie zu Kolumbus‘ Zeiten. Die kleine Glocke der Christophoruskirche in Dresden etwa wurde um 1250 gegossen.
Nicht, dass es keine Weiterentwicklungsversuche gegeben hätte. Vor allem im 20. Jahrhundert war man diesbezüglich sehr umtriebig. Beispielsweise werden viele kleine Glocken (speziell aus Großserienfertigung) serienmäßig gegossen, geschmiedet oder gar per CNC-Fräse aus dem Vollen gearbeitet. Was allerdings große Kirchen- und ähnliche Glocken anbelangt, herrscht heute eine Erkenntnis vor: Besser als im 16. Jahrhundert geht es einfach nicht.
Deshalb hat die moderne Glockenfertigung stets etwas Archaisches. Die Werkstatt mag modern ausgestattet sein. Vor- und Nacharbeiten werden mit neuzeitlichen Werkzeugen wie etwa Winkelschleifern durchgeführt werden. Der Kern der Arbeiten ist jedoch über Jahrhunderte unverändert – zumindest in Deutschland, wo sich eine kleine Handvoll Gießereien die Auftragslage teilen.
Die Fertigung einer Glocke nach dieser Methode ist stets eine Variante des Gusses mit verlorener Form. Bezogen auf das Metallgießen insgesamt mit seiner langen Geschichte und verschiedenen Herangehensweisen ist diese Methode zwar recht aufwendig. Allerdings garantiert nur das Gießen materialtechnisch entsprechende (Klang-) Ergebnisse. Zudem ist der Guss mit verlorener Form nötig, weil die Formgebung (oder besser: die Verzierung) andere Techniken zu komplex macht.
Alles beginnt damit, dass der Glockenbauer mauert – in einer Grube im Boden der Werkstatt, damit die Schmelze später von allen Seiten zusammengehalten wird.
Mithilfe von Lehmsteinen errichtet er eine innen hohle Konstruktion, die in ihrer groben Formgebung und den Abmessungen der Glocke entspricht. Generell spielt der Werkstoff Lehm bei der traditionellen Herstellungsmethode eine wichtige Rolle – und wird nicht zuletzt vom Bundesverband der Glockengießer in einer Richtlinie genau definiert:
*Was bei fehlerhaftem Glockenguss geschieht, zeigt sich an der berühmten „Freiheitsglocke“ die in der US-Stadt Philadelphia zu besichtigen ist. Sie musste aufgrund von Rissen zweimal neu gegossen werden und trägt bis heute einen Riss, um dessen Entstehung sich Legenden ranken.
Diese Innenglocke aus Lehmsteinen wird nun mit weiterem Lehm überzogen. Anschließend wird dieser mit einer rotierenden Schablone abgezogen. Es entsteht eine Form, die exakt der späteren Innenseite der Glocke entspricht – der sogenannte Kern. Dann wird die Formgebung der eigentlichen Glocke vorgenommen. Ist der Kern mithilfe eines Feuers im hohlen Kern durchgetrocknet, wird er mit Fett, Graphit oder anderen Trennmitteln bestrichen. Dann folgt eine weitere Schicht besonders feiner Lehm.
Zusammen mit einer weiteren drehbaren Schablone entsteht ein in Sachen Materialstärke und Formgebung exaktes Abbild der späteren Glocke. Dieser Lehm wird ebenfalls feuergetrocknet. Dann werden darauf mit Wachs und teils extremer Kunstfertigkeit all jene Sprüche und anderen Verzierungen aufgebracht, die die Glocke optisch verschönern sollen. Fachsprachlich ist das die falsche Glocke.
Auf die falsche Glocke wird wiederum eine dritte Schicht Lehm auf einer dünnen Lage Trennmittel aufgebracht. Zunächst solcher mit extrem feiner Körnung, damit die Wachsverzierungen möglichst deutlich eingedrückt werden. Dann gröber werdend, um die Form druckstabil zu machen. Zuletzt wird nochmals ein Feuer geschürt. Es dient dazu, alle drei Lehmschichten durch Brennen hart und unverformbar machen. Dadurch wird der Mantel fertiggestellt. Sein inneres entspricht dem späteren Glockenäußeren.
Bis auf die Trennmittel handelt es sich an diesem Punkt um ein durchgängig massives Lehmkonstrukt. Daher muss nun Platz für das Metall geschaffen werden. Das geschieht, indem der Mantel vorsichtig nach oben abgehoben wird. Die freigelegte falsche Glocke wird zerschlagen, die darunterliegende Außenseite des Kerns sorgfältig gereinigt.
Nachdem der Mantel wieder abgesenkt wurde, besteht zwischen ihm und dem Kern ein Hohlraum, der in jeglicher Hinsicht exakt der Glocke entspricht. Die gesamte verbliebene Grube wird nun aufgefüllt und verdichtet. Die hohle Form* der ehemaligen falschen Glocke verbleibt als einziger Freiraum.
*Die querschnittliche Form der Glocke wird fachsprachlich (Glocken-)Rippe genannt. Ihre exakte Formgebung bestimmt maßgeblich den komplexen Klangaufbau der späteren Glocke. Das Material und dessen Dicke üben „lediglich“ Einfluss auf Tonhöhe und Abklingverhalten aus. Die Rippe ist in Glockengießereien meist ein strenggehütetes Betriebsgeheimnis.
Schon bis hierhin sprechen wir von Arbeitsschritten, die nicht nur archaisch anmuten, sondern sehr zeitraubend und im Höchstmaß diffizil sind. Bis auf Elektrowerkzeuge, die dabei helfen, Lehm und Wasser zu verkneten, geht es hier nach wie vor zu wie zu Zeiten Augusts des Starken.
Dann allerdings wird es nochmals etwas archaischer und diffiziler: Das Gießen steht an.
Das Gießen ist sozusagen der „Punkt ohne Rückkehr“. Die gesamte Glockenspeise, mitunter zehn Tonnen und mehr Gesamtmasse, muss gleichmäßig, aber sehr zügig eingegossen werden. Bis zu 20 Minuten dauert der Prozess. Nicht einfacher wird er, weil die Glockenspeise recht dickflüssig ist.
Dann bleibt nur noch warten. Die Glocke braucht in ihrem isolierenden Tonbett jetzt mehrere Wochen, bis sie ausgekühlt ist. Eine Zeit, nicht nur sprichwörtlich „zwischen Hoffen und Bangen“, denn selbst Tage nach dem Gießen können Risse entstehen.
Wenn die Glocke ausgekühlt ist, wird es spannend. Sie wird vorsichtig manuell ausgegraben und anschließend mit einem in der Werkstatt installierten Kran aus ihrer Grube herausgehoben.
Schon während sie grob von anhaftendem Schmutz gereinigt wird, sind die Glockengießer mit hellen Lampen und kritischen Blicken am Werk. Sie prüfen nicht nur auf grobe Gießfehler, sondern ebenso, ob alle Verzierungen so wurden, wie geplant.
Dann kommt der wichtigste Moment: Mithilfe von Stimmgabeln wird geprüft, ob das Kunstwerk aus Bronze exakt so klingt wie vorherbestimmt. Meistens tut es das. Falls nicht, besteht stets die Möglichkeit, innen entlang der Rippe noch gezielt etwas Material abzutragen. Ist das getan und die Glocke außen durch Bürsten und Polieren auf das gewünschte Finish gebracht, erfolgt die testweise Montage des Klöppels aus weichem Stahl.
Erst, wenn dieser ebenfalls präzise geformte Teil das erste Mal mit mächtigem Schwung gegen die Innenseite der Rippe schlägt, ertönt der volle Klang der Glocke – und wird es, wenn die Zeiten es gestatten, noch zigtausende Male über die kommenden Jahrhunderte hinweg tun können.
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