Dresden - Die Jazztage Dresden sind eines der größten Jazzfestivals Sachsens und locken jährlich bis zu 40.000 Besucherinnen und Besucher an. Doch statt der vielen Konzerte steht in diesem Jahr eine Vortragsveranstaltung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Einladung des umstrittenen Schweizer Publizisten Daniele Ganser sorgt für eine Kontroverse, denn er gilt als Verschwörungstheoretiker.
Eine große Party voller kultureller Höhepunkte sollte sie werden, die zwanzigste Ausgabe der Jazztage Dresden. Doch neben der durch die Corona-Pandemie ohnehin angespannten Lage muss sich Intendant Kilian Forster derzeit vor allem mit einem Thema beschäftigen: der Kontroverse um einen Vortrag des Schweizer Publizisten Daniele Ganser, der als Verschwörungstheoretiker gilt. Für Forster stehe Ganser allerdings für Aufklärung, Frieden und Freiheit. Deshalb sehe er auch kein Problem darin, einen einzelnen Vortrag im Rahmen der Jazztage stattfinden zu lassen. Ursprünglich seien zwar auch mehr geplant gewesen, jedoch habe Corona diese Planungen zunichte gemacht. Vor diesem Hintergrund sei der erneute Vortrag von Ganser auch besonders wichtig, da dieser den Jazztagen "im vergangenen Jahr mehr geholfen [habe], als der Freistaat Sachsen" und somit auch indirekt den Künstlern helfe.
Doch das sehen längst nicht alle so. Für Sebastian Haas vom frisch gegründeten Jazzverband Sachsen ist nicht ersichtlich, was ein solcher politischer Vortrag zum Thema "Geostrategie" mit Jazz zu tun hat. Deswegen hat sich der Verband auch mit einer öffentlichen Stellungnahme an Forster gewandt und um ein Gespräch gebeten.
Nicht nur der Veranstaltungsrahmen, auch Ganser als Referent wird kritisert. Er wird von zahlreichen Wissenschaftlern als Verschwörungstheoretiker eingeordnet, so auch von Professor Michael Butter von der Universität Tübingen, der zum Thema Verschwörungstheorien forscht. Eine Verschwörungstheorie weise im Grunde immer drei Kernmerkmale auf: Nichts sei zufällig oder so wie es zunächst scheine, alles irgendwie miteinander verbunden. Sie bieten damit einfache Erklärungen für komplizierte, nicht rationalisierbare Geschehnisse, in denen der Zufall keinen Platz mehr habe, alles irgendwie geplant sei. Dabei könne man zwei Typen von Verschwörungstheoretikern unterscheiden - diejenigen, die ganz offen ihre Theorien vertreten und sich damit selbst in Opposition zum Mainstream stellen wollen und diejenigen, die ihre Theorien unter dem Mantel des "Nur-Fragen-Stellens" plausibel erscheinen lassen und am Mainstream andocken wollen. Für Prof. Butter gehöre Ganser zur zweiten Gruppe. Mit dem Vortrag bei den Jazztagen "Geostrategie - Der Blick hinter die Kulissen der Macht" habe er sich zwar noch nicht auseinandergesetzt, kenne aber vergangene Vorträge Gansers. Er stelle sich zwar selbst als Forscher dar, verwende aber verschwörungstheoretische Erzählungen, deute Fakten bewusst so, dass sie seine Theorien zu stützen scheinen und lässt wichtige Aspekte außen vor. Zwei Beispiele beim Thema 9/11:
1. Ganser zeige bei seiner Behandlung des Einsturzes von WTC7, dem dritten am 11. September eingestürzten Gebäude, immer nur unvollständige Fassungen von Videoaufnahmen, die seine Theorie von einer absichtlichen, kontrollierten Sprengung zu untermauern scheinen.
2. Es wurde der Pass eines der Attentäter unter den Trümmern gefunden. Für Ganser sei klar, dass dieser nie den Einsturz habe überstehen können. Dies untermauert er mit einem Foto, das die Trümmerwüste von oben zeigt. Er verschweigt jedoch, dass dieser Pass bereits vor dem vollständigen Einsturz mit weiteren Gegenständen vor dem Gebäude gefunden wurde, als noch nicht so viele Trümmer auf dem Gelände gelegen haben.
So habe er den Boden der seriösen Wissenschaft bewusst immer weiter hinter sich gelassen, seit er 2006 die offizielle Erklärung zu den Anschlägen des 11. September in Zweifel gezogen hat. Auch wenn er sich beispielsweise als Friedensforscher bezeichne habe er niemals in diesem Feld publiziert oder mit einem der zahlreichen anerkannten Forschungsinstitute dieser Richtung zusammengearbeitet. Für seine Fans gelte er aber gerade wegen seines Ausschlusses aus dem Wissenschaftsbetrieb als umso wichtigerer Querdenker, der mundtot gemacht werden solle weil seine Theorien dem Mainstream unbequem seien, so Prof. Butter weiter. Auch in Dresden kann Ganser auf ein treues Publikum zählen, das seine Veranstaltungen füllt.
Erst seitdem eine Musikerin in der verganenen Woche ihr Unverständnis über den Vortrag auf Facebook äußerte ist eine hitzige öffentliche Debatte entbrannt, in der sich zahlreiche weitere Musikerinnen und Musiker an die Jazztage und Intendant Forster persönlich wandten, eine Absage des Vortrags oder zumindest eine Erklärung forderten. Auf der anderen Seite stehen die Anhänger Gansers, die die kritischen Stimmen angreifen und die Diskussion als Angriff auf die Meinungsfreiheit verstehen wollen. Kilian Forster sieht in der Kritik an der Einladung Gansers eine Diffamierungskampagne gegen ihn und die Jazztage. Er sei besonders enttäuscht von jungen Musikern, die zum ersten Mal auf der großen Bühne spielen dürften und das nun mit Absagen und Boykottaufrufen dankten. Forster möchte die Kritikerinnen und Kritiker einladen, selbst mit Ganser zu debattieren und hat dafür kurzfristig dem Vortrag eine Diskussion angschlossen.
Doch die Eingeladenen werden aus mehreren Gründen fortbleiben, nicht nur weil die Einladung so kurzfristig kam. So erklärt Prof. Michael Butter, dass eine konstruktive Diskussion in diesem Rahmen nicht möglich wäre. Zwar könne man sich durchaus über die eigene Meinung beispielsweise zum Vorgehen der Bush-Regierung nach den Anschlägen des 11. Septembers streiten, nicht jedoch über wissenschaftliche Fakten, die Ganser bewusst immer wieder umdeuten wolle. Durch die Teilnahme eines renommierten Forschers an der Diskussion werde automatisch auch die Gegenposition als gleichwertiger wahrgenommen, auch wenn sie der wissenschaftlichen Grundlage entbehre. Aus Studien sei bekannt, das dies beispielsweise auch beim Thema Klimawandel lange Zeit falsch gemacht worden sei. Ein weiterer Grund sei, dass eine solche Diskussion nicht zum von Forster gewünschten Austausch führen werde, da sie die Fronten nur verhärte. Verschwörungsgläubige seien so fest in ihrer Gewissheit, dass sie Zweifel an ihrer Position oder sogar das Eingestehen eines Falschliegens nie zugeben könnten - sogar wenn man sie mit wissenschaftlich schlüssigen Fakten und Beweisen konfrontiere. Eher noch würden sie umso mehr an die Theorie glauben, die ihnen leichte Erklärungen liefere und sie als aufgewachte Auserwählte fühlen lasse, die sich nicht von Mainstreammedien und gekauften Wissenschaflterinnen und Wissenschaftlern hinters Licht führen lassen. Zudem sei bei dieser Vortragsveranstaltung der Großteil des Publikums schon vorher auf der Seite von Ganser, was einem neutralen und konstruktiven Austausch im Wege stehe. Dieser feindlichen Stimmung möchte sich auch der Jazzverband Sachsen nach Rücksprache mit Expertinnen und Experten nicht aussetzen. Ganser-Befürworter dürften darin allerdings wieder eine Bestätigung sehen - Wer nicht diskutieren will, habe wohl keine schlagenden Argumente.
Schlussendlich bleibt es dem Auge des Betrachters überlassen, wie groß der Schaden für die Jazztage durch die ganze Kontroverse ist. Für Forster ist klar, dass er Ganser auch im nächsten Jahr einladen möchte, dann allerdings gleich mit angeschlossener Diskussion. Ganser kann auch diesmal auf ein treues Publikum zählen: Für die zunächst ausverkaufte Veranstaltung am 25. Oktober gibt es aufgrund des neuen Hygienekonzepts wieder Karten.