Lärm ist in Städten eines der größten Umwelt- und Gesundheitsprobleme. Das birgt Konfliktpotenzial. Ab wann wird Lärm zu einer Belastung? Und welche Stadt ist lauter – Leipzig oder Dresden?
Straßenlärm ist im Alltag am lautesten. An zweiter Stelle: der Nachbarschaftslärm.
Tobende Kinder, der viel zu laute Fernseher in der Nachbarschaft, dröhnende Techno-Musik, ohrenbetäubender Helene-Fischer-Schlager, Motorgeräusche, Autogehupe, Krankenwagensirenen, Baustellen, Party- und Feierlärm, lautes Gerede aus den Kneipen, Demonstrationen, Stadtfeste – die Quellen für Lärm sind ebenso facettenreich wie das persönliche Erleben, wann aus Umgebungsgeräuschen tatsächlich Lärm wird.
In Städten ist es dabei allgemein immer lauter – wo mehr Menschen zusammen leben, entstehen mehr Geräusche. Und je größer die Stadt, desto lauter kann es werden.
Daraus resultieren Konflikte und dabei kommt einiges zusammen: die Ruhestörung für den einen, das Anrecht auf die freie Entfaltung für den anderen und der tatsächlich krankmachende Lärm.
Aber, wie bei allen Dingen im Leben ist eine Unterscheidung angebracht. Erst recht beim Lärm. Wo beginnt er und wo kommt er her? Und wo beginnen Hörschäden? Wie wird Lärm in der Stadt gemessen?
Grundsätzlich es so, dass unser Leben immer lauter wird. "Wir sind heutzutage durch Lärm am Arbeitsplatz, Umweltlärm, Musik und andere Medien freiwillig oder unfreiwillig einer ständigen Geräuschkulisse ausgesetzt. Selten findet sich ein Ort der völligen Ruhe", erklärt Dr. Dirk Heinrich, Präsident des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte.
Und wie konnte es soweit kommen? Vor der industriellen Revolution, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts für tiefgreifende Veränderungen der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sorgte, war Lärm in den ländlichen Gesellschaften kein Problem.
Mit dieser Revolution stiegen der technische Fortschritt und die Urbanisierung – damit ist die Zunahme der Stadtbevölkerung gemeint. Und damit wurde es lauter.
In den Fünfziger Jahren wurde bereits beobachtet, dass die audiometrische Schwelle des geringsten wahrnehmbaren Geräusches bei Stadtbewohnern höher lag als bei Bewohnern von ländlichen Gegenden.
Das heißt: das Hörvermögen des durchschnittlichen Stadtbewohners ist hier geringer und entspricht dem eines Menschen, der 10 bis 20 Jahre älter ist.
Deshalb der Trend: Hörschäden nehmen nach Angaben der gesetzlichen Krankenkasse Barmer deutlich zu – besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Aber das läge nicht nur allein am Lautstärkepegel der Stadt: "Zusätzlich zu dem ganzen städtischen Lärm wie Verkehr und Baustellen kommt der Lärm, den wir uns durch die digitale Welt zuführen", sagte Barmer-Vorstandsmitglied Mani Rafii. "Viele junge Leute haben ihre Smartphone-Kopfhörer im Ohr und hören laute Musik. Hier hat die digitale Welt auch ihre Risiken."
Trotzdem, das laute Stadtleben hinterlässt eindeutig seine Spuren. Die Hörindex-Studie 2017 zum weltweiten Hörverlust, die anlässlich zum Welttag des Hörens am 3.März veröffentlicht wurde, bestätigte, dass „der Hörverlust direkt oder indirekt durch die Lärmbelastung an den Wohnorten beeinflusst wird“. Sie weist darauf hin, "dass bei höherem Grad der Lärmbelästigung einer Stadt die Anzahl der Fälle von Hörverlust ebenso höher liegt".
Geräusche nehmen wir über Schallwellen wahr. Der Grund: das menschliche Gehör ist auf die Schallsignale einer natürlichen Umgebung eingestellt. Zu viel Schall – in Dauer und Stärke – verursacht Gehörschäden. Aber wo beginnt Lärm?
Entscheidend ist die Lautstärke – der Schalldruck oder die Schallenergie. Dieser wird in der Einheit Dezibel - dB(A) – gemessen. Dabei steht zehn Dezibel mehr für eine Verzehnfachung des Schalldrucks, drei für eine Verdoppelung. Die Hörschwelle des normal hörenden Menschen liegt bei 0 dB(A).
Geräusche bis zu 20 dB(A) sind sehr leise. In diesem Bereich liegt Flüstern oder ein Waldrauschen. Brummende Computer-Ventilatoren, das Klicken der Fingerspitzen auf der Tastatur, Hintergrundgeräusche – der Bereich zwischen 20 und 40dB (A) ist bereits gut zu hören. Manche werden aber hier schon im Schlaf oder in ihrer Konzentration gestört.
Eine Lautstärke von 40 dB (A) bis 60 dB (A) kann dann noch störender wirken, muss sie aber nicht – sie ist nämlich ungefährlich. Dieser Bereich steht für eine normale Gesprächslautstärke oder ein leises Radio. Hier ist das eigene Hörempfinden entscheidend.
Ein lautes Gespräch oder ein vorbeifahrendes Auto erreichen 60 bis 80 db(A). Ab 85 dB(A) wird es problematisch, denn hier werden schon einige der im Ohr befindlichen 30 000 Hörsinneszellen unwiderruflich zerstört. Und zwar in Abhängigkeit von der Dauer der Lautstärkeeinwirkung. Einen Geräuschpegel von 80 dB (A) – das entspricht dem Geräusch in einer Flugzeugkabine oder der Laustärke eines Rasenmähers– können die Sinneszellen zwar acht Stunden am Tag ohne Schäden überstehen, aber auf Dauer können hier schon gesundheitliche Langzeitschäden entstehen.
80 bis 100 dB (A) erreichen dann vorbeifahrende LKWs, Motorsägen oder Winkelschleifer.
Bei 88 dB (A) sind es dann nur noch vier Stunden, bis es gefährlich wird. Bei 94 dB (A) – das entspricht einem normal laut gestellten Smartphone, über das man via Kopfhörer Musik hört – setzt die Schädigung bereits nach einer Stunde ein. Einem Lärmpegel von 105 dB (A) halten die Hörzellen nur knapp fünf Minuten ohne Verluste stand.
Bei 110 dB (A) ist die Schmerzgrenze dann endlich erreicht. Der unangenehme Bauarbeiten-Sound liegt in diesem Bereich: Kreissägen und Presslufthämmer. Über 120 dB (A) erreichen dann startende Düsenflugzeuge und oder so manches Rockkonzert.
Neben der Lautstärke ist natürlich die Lärmquelle entscheidend. Insgesamt berichten nach einer repräsentativen Umfrage des Umweltbundesamtes aus 2012 44,7 Prozent der Erwachsenen deutschlandweit, durch Lärm in ihrem Wohnumfeld gestört oder belästigt zu werden.
Dabei wird Straßenlärm als größte Lärmquelle genannt – gefolgt vom Nachbarschaftslärm. Auf Platz drei und gleich auf: Flugverkehrslärm und Industrie- und Gewerbelärm. Auf dem letzten Platz: der Schienenverkehrslärm.
Diese Unterteilung nach Straßen-, Industrie- und Gewerbe-, Flug- und Schienenverkehrslärm wird dann auch standardmäßig angewendet, um Umweltlärm und seine Wirkung zu messen.
Der Nachbarschaftslärm in der direkten Umgebung ist in der genannten Unterteilung dabei außen vor.
Hier gilt allgemein: An Sonn- und Feiertagen darf es nicht zu laut werden. Generell herrscht ab 22 Uhr Nachtruhe, und das entweder bis 6 oder bis 7 Uhr früh. In Mietverträgen ist zusätzlich oft noch eine Mittagsruhe zwischen 12 und 14 Uhr vorgeschrieben.
Das heißt: innerhalb dieser Ruhezeiten muss man sich in seiner Wohnung so verhalten, dass keine Geräusche zum Nachbarn dringen. Ansonsten darf es in der Wohnung auch lauter werden, solange sich die Geräusche in normalem Rahmen bewegen. Das Stichwort ist hier: Zimmerlautstärke. Das heißt: außerhalb der Ruhezeiten muss selbst gelegentliches Hundegebell geduldet werden, sofern der Lautstärkepegel bis 55 dB (a) eingehalten wird.
Kommt es aber tatsächlich zu einem Konflikt, sind zunächst in der Regel Behörden nicht der zuständige erste Adressat. Zuvor herrscht die Regel „Reden hilft“ – der Dialog und die Kooperation zwischen den streitenden Nachbarn und dem Hausbesitzer sollte, egal ob man Lärmopfer oder –täter ist, im Vordergrund stehen.
Als möglicher „Lärmverursacher“ kann man da einiges tun: den Nachbarn rechtzeitig über die bevorstehende Party informieren und/oder ihn sogar einladen, ihn über bevorstehende laute Handwerkerarbeiten informieren, oder seine Wohnung von innen abdämmen oder isolieren, wenn man laute Musik mag oder regelmäßig ein Instrument spielt.
Als mögliches „Lärmopfer“ ist Kommunikation entscheidend. Fühlt man sich gestört, sollte der laute „Übeltäter“ darüber informiert werden. Gehört man hier zu denjenigen, die besonders lärmempfindlich sind oder sehr viel Ruhe benötigen, kann auch hier die Wohnung durch Dämmung vor Außenlärm geschützt werden.
Wenn das alle nicht hilft, sind im Extremfall das Ordnungsamt der Stadt oder der Gemeinde und außerhalb der Öffnungszeiten die Polizei die richtigen Ansprechpartner. Im „Worst Case“ kann der Rechtsanwalt angerufen werden. Die meisten Nachbarschaftsstreitigkeiten werden dann vor Amtsgerichten ausgetragen.
Grundsätzlich: nach der genannten Hörindex-Studie, liegen deutschen Städte beim globalen Ranking in der hinteren Hälfte. Die lauteste deutsche Stadt ist Frankfurt am Main vor Hannover und Berlin. München ist die Großstadt mit der geringsten Lärmbelästigung, dann folgen Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart. Wegen der zu geringen Einwohnerzahlen fehlen hier Leipzig und Dresden.
Die letzte Studie, in der zumindest zwei sächsische Städte in der Rankingliste sind, stammt aus 2011. Das Fraunhofer-Institut für Bauphsysik untersuchte alle deutschen Städte mit mehr als 250.000 Einwohnern. Die Rangliste umfasste 27 Städte.
Leipzig gehört zu den ruhigsten Städten in Deutschland.
Die Forscher orientierten sich an der EG-Umgebungslärmrichtlinie, die Städten vorschreibt, Lärmkarten anzufertigen und mit den Bürgern Pläne gegen die Belastung zu erarbeiten. Für das Ranking haben die Lärmforscher die Karten der Lärmquellen - die Standard-Umweltlärmquellen: Straßen-, Schienen- und Flugverkehr sowie Industrie und Gewerbe – ausgewertet.
Ihre Methode: die Autoren haben die Flächen in den 27 Städten ermittelt, in denen im Mittel ein Lärmpegel von 55 db (A) - Lautstärke in Dezibel - überschritten wird.
Das Ergebnis: Hannover führt demnach das bundesweite Lärm-Ranking an, gefolgt von Frankfurt am Main und Nürnberg. Die drei leisesten deutschen Städte sind Münster, Augsburg und schließlich Leipzig – auf Platz 25 mit 27,6% über dem Lärmgrenzwert. Auf Platz 22: Dresden mit 33,7%.
Ganz unproblematisch ist diese Methode nicht. Die Aussage des Rankings ist begrenzt, da die tatsächliche Zahl vom Lärm betroffener Menschen gar keine Rolle spielt. Ergo, sie sagt wenig über die tatsächliche Lärmbelastung der Stadt aus.
Besser wäre es gewesen, wenn die Forscher berechnet hätten, wie viele Menschen welcher Lärmbelastung tagsüber, in der Freizeit und nachts ausgesetzt sind. Das hätte aber die Berechnung verkompliziert und kein einfaches Ranking mehr ermöglicht.
Und hier liegt das Problem: wie will man entscheiden, ob 20 000 Einwohner mit 60 dB (A) nachts stärker belastest sind als 40 000 mit 55 dB(A)? Zudem müssten die Forscher exakt wissen, in welcher Richtung das Schlafzimmer liegt und ob das Fenster nachts offen steht.
Da ist die Methode der Hörindex-Studie genauer. Nur leider ohne eine sächsische Stadt. Aber egal bei welcher Studie: grundsätzlich gilt aus Bürgerperspektive – die Lärmempfindung ist eine subjektive Sache.
Dennoch – die Lärmkarten-Auswertung ist bisher die einzige Methode, die Lautstärke in den Städten möglichst objektiv zu messen. Allerdings liegt die letzte Kartierung in Sachsen und somit in Leipzig und Dresden schon fünf Jahre zurück.
Weil nach den Vorgaben der EU Umgebungslärmrichtlinie und dem Bundesimmissionsgesetz alle fünf Jahre die Lärmbelastung durch Umgebungslärm in Lärmkarten dargestellt werden muss, wird es in diesem Jahr eine Aktualisierung geben. Bis dahin muss man sich mit den Zahlen aus 2012 begnügen.
Wie auch im oben genannten Ranking: bis 2012 war die Lärmbelastung in Dresden höher als in Leipzig. Und zwar um 6,1%. Trotz der unteren Plätze im Ranking – beide Städte arbeiten kontinuierlich an Lärmminderungsplänen.
Leipzig hat einen Lärmminderungs-Aktions-Plan am Start, der durch Straßenbaumaßnahmen, Geschwindigkeitsreduzierung und Verkehrsreduzierung Leipzig noch leiser machen möchte. Das Hauptproblem bleibt das Umfeld um den Flughafen.
Dresden hat bereits seit 2006 das Problem auf dem Schirm. Ein Plan wurde auf der Basis der Ergebnisse der Lärmkartierung 2012 fortgeschrieben und nach Beteiligung der Öffentlichkeit erneut überarbeitet, bevor er am 4. Januar 2016 als „Masterplan Lärmminderung 2014“ vom Ausschuss für Umwelt und Kommunalwirtschaft beschlossen worden ist.
Über die genauen Messzahlen, ob die Lärmminderungs-Pläne der beiden Städte wirken, erfahren wir noch in diesem Jahr.