Do, 29.09.2022 , 09:53 Uhr

Mob vor Flüchtlingsbus inspiriert Theaterstück

Dresden - Als am 18. Februar 2016 ein Mob im erzgebirgischen Clausnitz einen Bus mit Geflüchteten blockiert, mit rassistischen Parolen bedroht und "Wir sind das Volk" skandiert gehen die erschreckenden Szenen um die Welt. Nun feierte in Dresden das Stück "Last Stop Clausnitz" seine Uraufführung, das die Geschichten der Menschen im Bus bis zu jener Nacht in Clausnitz nacherzählt: Warum müssen sie fliehen, welches Leid erleben sie auf der langen Flucht, welche Hürden warten in Deutschland auf sie? Dabei stehen auch selbst aus Syrien geflohene Schauspieler auf der Bühne.

2015/16 befindet sich Deutschland mitten in der sogenannten Flüchtlingskrise. Mehr als eine Million Menschen suchen in dieser Zeit Schutz in der Bundesrepublik, mehr als je zuvor. Sie fliehen vor dem Bürgerkrieg in Syrien, den Taliban in Afghanistan, oder religiöser Verfolgung in anderen Ländern des Nahen Ostens. Auch im Freistaat wird händeringend nach Möglichkeiten gesucht, diese Menschen erstmal unter zu bringen. So auch am 18. Februar, als ein Bus 15 Gefüchtete zu ihrer Unterkunft im erzgebirgischen Clausnitz bringen soll. Was dann geschieht sorgt in Deutschland für Entsetzen - ein Mob von rund 100 Personen umringt und blockiert den Bus und bedroht die Insassen mit rassistischen Parolen, die Polizei verhindert dies nicht und versucht stattdessen die Geflüchteten unter Zwang aus dem Bus zu bringen. Als "Schande von Clausnitz" gehen die Bilder um die Welt und sorgen für viele Diskussionen. Jetzt, sechs Jahre danach, ist in Dresden ein Theaterstück über die Menschen im Bus auf die Bühne gebracht worden.

Geschrieben und inszeniert hat es Marc Lalonde, gemeinsam mit der TU Dresden Theatergruppe "The TUDORS"(The TU Dresden Off their Rockers Shakespeareans). Der Frankokanadier lebt schon über zwanzig Jahre in Dresden und arbeitet als Lektor an der TU Dresden. Er war beispielweise schon als Chef im Ausländerbeirat der TU Dresden oder als stellvertretender Vorsitzender des Bundeszwanderungs- und Integrationsrats im Themenfeld Immigration und Integration aktiv. Die Region Erzgebirge ist für ihn ein Sehnsuchtsort, er besitzt im Nachbarort von Clausnitz ein kleines Häuschen. Als er 2016 die Bus-Szenen in den Nachrichten sieht beschließt er sofort zu helfen. Fast jedes Wochenende ist er in den folgenden Monaten und Jahren vor Ort, hilft nicht nur beim Organisieren und Verteilen von Sachspenden, sondern auch beim Erlernen der deutschen Sprache, Behördengängen und Hausaufgaben. Es entstehen tiefe Freundschaften, die ihn bis heute mit den Geflüchteten verbinden. Sie erzählen ihm ihre Geschichten, was sie in ihren Heimatländern erlebten, wie schwer es war, sich zur Flucht zu entschließen und was sie dann auf der langen Reise alles erleiden mussten. Das Ankommen in Clausnitz ist dabei sozusagen nur der Schlusspunkt ihrer Reise, die trotz der ernsten Thematik auch nicht ohne Humor daherkommt. So sorgen zum Beispiel die Vorliebe der Deutschen für Schweinefleisch oder Bürokratie für Stirnrunzeln bei den Figuren und wohldosiertes Schmunzeln im Publikum. 2021 ist es dann soweit, im Ferienhaus im Erzgebirge bringt Lalonde während der Coronapandemie endlich die Geschichten zu Papier, die ihn nicht mehr losgelassen haben und die umso mehr berühren, weil sie wahr sind.

Schnell wird das englischsprachige Stück mit den TUDORS inszeniert, doch die Pandemie sorgt für viele Ausfälle, aus immer neuen Verschiebungen werden schließlich Absagen. 2022 wagt Marc Lalonde einen neuen Anlauf und hat Glück im Unglück: zwei ausgefallene Schauspieler werden kurzerhand mit selbst aus Syrien geflohenen Menschen besetzt, die dem Stück so eine ganz neue Intensität geben. Bei der Premiere im Kino im Kasten sind auch Menschen im Publikum, die 2016 selbst im Bus saßen, zum Beispiel auch Louai Khatoun. Er wird damals durch ein virales Video als der Junge bekannt, der weinend aus dem Bus gezerrt wird und somit zum Symbol für die Geschehnisse in Clausnitz. Sie sind glücklich und stolz, ihre Geschichten nun auf der Theaterbühne zu sehen. Die Premiere begleiteten unter anderem auch Staatssekretär Sebastian Vogel aus dem sächsischen Sozialministerium und der Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby mit Grußworten. Für die TUDORS stehen nach der gelungenen Premiere nun noch weitere Aufführungen in Dresden am 13.10., sowie in den Partnerstädten Coventry und Wroclaw auf dem Programm.