Di, 01.10.2019 , 09:24 Uhr

Neues Forschungsgebäude für molekulare Medizin

Dresden - In dieser Woche feiern Repräsentanten des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, der Technischen Universität Dresden und deren Medizinischer Fakultät gemeinsam mit der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva-Maria Stange, die Grundsteinlegung für das neue Zentrum für Metabolisch-Immunologische Erkrankungen und Therapietechnologien Sachsen (MITS). 

 In den kommenden Monaten entsteht an der Ecke Augsburger / Fiedlerstraße der Rohbau für das Forschungsgebäude. In diesem Neubau arbeiten ab 2023 Mediziner, Biologen, Ingenieure sowie Materialwissenschaftler an einem Ort zusammen, um einen Bioreaktor weiterzuentwickeln und für Patienten verfügbar zu machen. Diese innovative Kapsel soll eine Heilung von Diabetes und metabolisch-immunologischer Erkrankungen ermöglichen. Aufbauend auf dem einzigen Transplantationszentrum für insulinproduzierende Zellen in Deutschland ist Dresden der beste Standort für dieses anspruchsvolle Projekt. Um die damit verbundene Expertise weiter auszubauen, entwickeln Experten der Fachgebiete Innere Medizin, Endokrinologie, Immunologie, Chirurgie, Transplantationsmedizin, Zellbiologie und Materialwissenschaften neue medizinische Ansätze zu Diagnostik, Therapie und Vorbeugung von Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes. Bund und Freistaat unterstützen die Neubaukosten, die sich auf rund 35,5 Millionen Euro belaufen.

Ein entgleister Stoffwechsel, der sich in Übergewicht, einem veränderten Zuckerspiegel und erhöhten Blutfettwerten offenbart, ist einer der Auslöser für Zivilisationserkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Schlaganfälle und Herzinfarkte. Dass es Zusammenhänge zwischen Körpermaßen, Blutwerten sowie weiteren medizinischen Parametern und den lebensstilbedingen Volkskrankheiten gibt, haben unter anderem Dresdner Ärzte und Wissenschaftler bereits in den 1980er Jahren wissenschaftlich belegt und als „Metabolisches Syndrom“ bezeichnet. Angesichts der mehr als acht Millionen Deutschen, die derzeit unter Diabetes mellitus leiden, reicht es heute nicht mehr aus, diesen und anderen Volkskrankheiten mit den bisher bekannten Präventions- und Therapiestrategien zu begegnen. „Um die epidemische Ausbreitung zu mindern und für Patienten neue komplikationsarme Behandlungsansätze zu entwickeln, müssen wir ausgetretene Pfade verlassen. Ein Schlüssel dafür ist die intensive Beschäftigung mit der molekularen Dimension des Stoffwechsels“, sagt MITS-Sprecher Prof. Stefan R. Bornstein. „Hierbei helfen uns innovative Diagnostikverfahren – allen voran massenspektrometrische Verfahren sowie die molekulare Bildgebung. Sie ermöglichen es uns künftig, direkt in einem lebenden Organismus biochemische Prozesse des Stoffwechsels zu beobachten. Das Zentrum für Metabolisch-Immunologische Erkrankungen und Therapietechnologien Sachsen wird eine der Institutionen in Deutschland sein, welche die dazu notwendigen Verfahren entwickelt und erprobt. Die Ergebnisse werden auch einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Bioreaktors liefern.“

„Im MITS kann die Hochschulmedizin Dresden ihre Stärken bei der interdisziplinären, patientennahen Forschung ausspielen. Ärzte des Universitätsklinikums und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät nutzen den direkten Draht zwischen Krankenversorgung und modernen Forschungsansätzen, um sich die Dimensionen der molekularen Medizin zu erschließen. Damit ist dieses Zentrum ein hervorragendes Beispiel für die klassische Translationsfunktion des Hochschulmedizinstandortes Dresden“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Dresden. „Als Universitätsklinikum mit dem Auftrag einer umfassenden Maximalversorgung können wir nicht auf Innovationen warten, sondern müssen sie selbst vorantreiben. Denn der wissenschaftliche Vorsprung ist ein wichtiger Faktor für eine weiterhin positive wirtschaftliche Entwicklung der Hochschulmedizin Dresden“, sagt Katrin Erk, Kaufmännischer Vorstand des Dresdner Uniklinikums. 

„Die Erwartungen an die Arbeit internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die das neue Domizil des MITS beziehen sollen, sind hoch. Ziel ist es, ein neues Verständnis von metabolischen Erkrankungen wie Diabetes und anderen Stoffwechselerkrankungen zu gewinnen und die Prävention und Heilung in den Mittelpunkt zu stellen. Dank des translationalen Vorgehens werden die Ergebnisse von Spitzenforschung in modernste Spitzenmedizin überführt. Das dient mittelfristig einer besseren Versorgung und damit dem Wohl der Patienten. Hinzu kommt der Austausch von Expertise zwischen dem MITS und den in Dresden beheimateten Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, darunter das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung. Grund genug, die heutige Grundsteinlegung mit Optimismus im Blick auf den medizinischen Fortschritt zu verbinden“, sagt die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva-Maria Stange.

Mit dem Zentrum für Metabolisch-Immunologische Erkrankungen und Therapietechnologien Sachsen (MITS) bekommen Dresden und Sachsen ein weiteres Domizil der Spitzenforschung. Hier arbeiten Wissenschaftler und Mediziner in mehr als zehn Arbeitsgruppen Hand in Hand, auch um eine bessere Patientenversorgung zu gewährleisten. „Damit werden Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler und Ärzte geschaffen, die deutlich über dem internationalen Standard liegen und die zukunftsweisende Forschung am Standort Dresden weiter beflügeln werden“, sagt Prof. Heinz Reichmann, Dekan der Medizinischen Fakultät der TU Dresden.

Molekulare Einblicke in den Stoffwechsel
„Insbesondere in der Diagnostik von stoffwechselbedingten Erkrankungen stehen wir vor einem tiefgreifenden Wandel. Heute untersuchen wir als Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin vor allem Blut und andere Körperflüssigkeiten, die den Patienten zuvor entnommen wurden. Die Zukunft liegt nun darin, die Stoffwechselprozesse des Körpers in größerem Detail zu beobachten“, sagt Institutsdirektor Prof. Triantafyllos Chavakis. Die dazu notwendigen Verfahren sind neue massenspektrometrische Methoden und molekulare Bildgebungsverfahren. Erstere erlauben quantitative Analysen des Stoffwechsels inklusive des Fettstoffwechsels; letztere setzen darauf, dass sich Magnetresonanz-basierte molekulare Bildgebung mit Stoffwechsel-Analysen kombiniert werden. Diese Methoden bilden das Fundament zur Entwicklung neuer Therapien von metabolisch-immunologischen Erkrankungen.

Prof. Michele Solimena, Sprecher des Paul Langerhans Instituts Dresden des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung und Professor für Molekulare Diabetologie an der Medizinischen Fakultät, verwendet das „Molecular Imaging“, um die Funktionsweise der in der Bauchspeicheldrüse angesiedelten Betazellen zu untersuchen. Sie sind die einzigen Zellen im menschlichen Körper, die das blutzuckersenkende Hormon Insulin freisetzen. Die autoimmune Zerstörung der Betazellen lässt den Typ-1 Diabetes entstehen, wohingegen eine beeinträchtigte Insulinausschüttung eine Rolle beim Entstehen des Typ-2 Diabetes spielt. Mit dem Wissen über die Funktionsweise der Zellen und der Abläufe im Körper beim Fortschreiten der Erkrankung könnte Diabetes langfristig verhindert beziehungsweise bestehende Therapien optimiert werden. Unter anderem arbeiten verschiedene Forschungsgruppen bereits daran, die im Bioreaktor eingesetzten Zellen weiter zu verbessern. „Das MITS bietet exzellente Möglichkeiten, Wissenschaftler auf dem Gebiet der Diabetesforschung zusammenzubringen“, sagt Prof. Michele Solimena.

Auch Nachwuchswissenschaftler aus Dresden und London widmen sich gemeinsam dem molekularbiologischen Geschehen bei der Entstehung von Diabetes. Das bei der transCampus-Initiative angesiedelte internationale Graduiertenkolleg „Immunologische und zelluläre Strategien bei Stoffwechselerkrankungen“ forscht daran, organübergreifende Übersprech- und immunologische Prozesse besser zu verstehen, die zu peripherer Insulinresistenz und zu Typ-2-Diabetes führen. Ziel ist es, neue interventionelle und immunologische Ansätze und Behandlungsmöglichkeiten voranzutreiben und zu entwickeln.

Implantierter Bioreaktor übernimmt die Bildung von Insulin
„Der Bioreaktor lässt sich als eine Art von Herzschrittmacher vorstellen. Eine kleine Dose von fünf bis sechs Zentimetern Durchmesser, die auf das Bauchfell, also unter die Haut, transplantiert wird“, sagt Prof. Bornstein. In der Dose sind Betazellen beispielsweise des Schweins verpackt und so vor den Abwehrmechanismen des menschlichen Körpers geschützt. Über einen Port werden die Zellen von außen mit Sauerstoff versorgt, über eine Membran bekommen sie körpereigene Nährstoffe. Der Reaktor kann selbstständig nach Bedarf Insulin produzieren und an den Körper abgeben. Die Gabe von Insulin über Spritze oder Pumpe in den Körper wäre damit überflüssig. Bis der Bioreaktor allen Menschen mit Typ-1 Diabetes helfen kann, müssen Mediziner, Zellbiologen, Ingenieure und Materialwissenschaftler weiter forschen. Das MITS wird dafür das Zentrum sein.

Neubau verbindet Forschung zu zellulärer und metabolischer Regeneration
Mit dem MITS wird das deutschlandweit einzigartige Konzept einer eng verzahnten synergistischen Arbeitskette von der zellulären bis zur metabolischen Regeneration umgesetzt. Die enge Verzahnung innerhalb der über 2.000 Quadratmeter Forschungsfläche des MITS wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums Dresden weiter stärken. Der Neubau entsteht direkt neben dem Medizinisch-Theoretischen Zentrum (MTZ) der Medizinischen Fakultät an der Fiedlerstraße, das im Jahr 2000 eröffnet wurde. Das Neubauprojekt kostet über 28 Millionen Euro. Für Erstausstattung und Großgeräte sind weitere sieben Millionen Euro notwendig.