Halle/Leipzig - Rund ein halbes Jahr nach den Ausschreitungen am "Tag X" in Leipzig am 03. Juni, ist die Polizei noch immer mit der Sicherung von Beweismaterial beschäftigt und geht dabei neue Wege, die für Kritik sorgen.
Bereits während des Polizeieinsatzes im Juni wurden bei der bis heute umstrittenen polizeilichen Umschließung (Leipziger Kessel) von über 1000 Personen, darunter zahlreiche Minderjährige, insgesamt fast 400 Handys sichergestellt.
In den darauffolgenden Monaten wurden bei Razzien mehrerer Beschuldigter weiteres umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Dennoch weitete die Polizei am Dienstagmorgen die Durchsuchungsmaßnahmen auf einen Journalisten aus.
Auf Anfrage von Sachsen Fernsehen bestätigt die Staatsanwaltschaft Leipzig die Durchsuchungsmaßnahmen in Sachsen-Anhalt, genauer in Halle. Die von der Maßnahme betroffene Person wird jedoch, anders als bei vielen vergangenen Razzien, nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge geführt.
Weitere Angaben zu dem Zeugen wollte die Staatsanwaltschaft aus ermittlungstaktischen Gründen nicht machen. Doch laut Sachsen Fernsehen-Informationen soll es sich bei dem Durchsuchten um einen freien Foto-Journalisten handeln. Regelmäßig veröffentlicht er in namhaften Zeitungen und Magazinen Fotomaterial, soll auch am Tag X im Namen einer großen Presseagentur Videomaterial an verschiedene Fernsehsender geliefert haben.
Die sächsischen Polizeikräfte sollen am Dienstagmorgen in Halle neben Handy und Laptop des Betroffenen auch sämtliche Speichermedien sicherstellten haben. In jeden Fall gelten jedoch für die Durchsuchung von Journalisten und der Beschlagnahmung von journalistischen Erzeugnissen besondere Hürden.
Im § 53 der Strafprozessordnung ist verankert, dass Journalistinnen und Journalisten ein sogenanntes Zeugnisverweigerungsrecht besitzen. Nur so ergibt sich für Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit, mit vertraulichen Quellen kommunizieren zu können, ohne befürchten zu müssen, den Behörden ihre Kontaktpersonen und vertraulichen Quellen offenlegen zu müssen.
(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt (...) Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.
Darüber hinaus unterliegen auch die journalistischen Erzeugnisse einem "Beschlagnahmeverbot". Doch bei besonders schweren Straftaten (wie etwa einem versuchten Mord) können sich die Ermittlungsbehörden auf eine Ausnahmeregelung berufen.
Inwiefern der durchsuchte Foto-Journalist aussagekräftiges Beweismaterial für eine schwere Straftat anfertigte - unklar.
Auf seinen im Internet veröffentlichten Fotografien vom 3. Juni sind nach SF-Sichtungen größtenteils Polizeikräfte im Einsatz zu sehen. Doch auch für den Fall, dass der Journalist Foto- oder Videoaufnahmen von Straftaten anfertigte, ist ein derartiges Vorgehen der Behörden äußerst ungewöhnlich.
Eine Bitte, Material von dem Tag an die Polizei weiterzugeben, haben nach Informationen unseres Senders mehrere Reporter bekommen - jedoch nicht verpflichtend, da Journalisten nicht der Polizei zuarbeiten müssen.
Ob eine Razzia mit mehreren sächsischen Polizeikräften und einem Staatsanwalt in der Privatwohnung des Foto-Journalisten wirklich das mildeste Mittel war, um bei den Ermittlungen rund um den "Tag X" voranzukommen - fraglich.
Hatte die Polizei trotz dauerhafter Videoüberwachung aus Helikoptern, Videoüberwachungswagen und mobilen Kameras keine eigenen Aufnahmen von der Situation?
In der Vergangenheit gab es bereits mehrfach Durchsuchungen bei Foto- und Videoreportern nach Ausschreitungen auf Demonstrationen. Nicht selten klagten die betroffenen Journalisten dagegen und bekamen in langjährigen Gerichtsverfahren recht - die Durchsuchungen bei Journalisten waren häufig rechtswidrig. Doch bis das festgestellt wurde, war die Wohnung schon durchsucht, die Geräte beschlagnahmt und das Material bei der Polizei.
Ein Arbeitskollege des Foto-Journalisten, der anonym bleiben möchte, aber am Tag X ebenfalls Foto- und Videoaufnahmen anfertigte, bezeichnet das Vorgehen der Behörden als "Schlag gegen die legitime Berichterstattung". Nach seinen Informationen hatte der durchsuchte Journalist auf X, ehemals Twitter, ein Foto gepostet, auf dem eine "ermittlungsrelevante Person" gepixelt wurde. Das sei jedoch, solange keine Verurteilung vorliege, gängige Praxis. So dürfen auch Beschuldigte in einem Gerichtsverfahren nur unkenntlich gezeigt werden.
Eine Anfrage von der Polizei, das Material zur Verfügung gestellt zu bekommen, sei legitim, jedoch keine Razzia - so der Arbeitskollege:
Diese Praxis sehe ich auch als Einschüchterungsversuch gegenüber der Presse, da sowohl beruflich als auch persönlich dadurch sehr große Missstände entstehen können. Auch dass es keine Anfrage im Vorfeld gab und Repressionen wie bei Tätern zum Tragen kommen, finde ich persönlich einen falschen Ansatz.