Die Dresdner Versammlungsbehörde steht im Zusammenhang mit den PEGIDA-Versammlungen schon länger in der Kritik. Ihr wird vorgeworfen PEGIDA den "roten Teppich auszurollen". Der Oberbürgermeister hatte zwei renommierte Experten um die Überprüfung des Handelns der Versammlungsbehörde gebeten. Die Ergebnisse wurden heute präsentiert.
Externe Prüfung bestätigt: Versammlungsbehörde handelt korrekt
Die Dresdner Versammlungsbehörde steht im Zusammenhang mit den PEGIDA-Versammlungen schon länger in der Kritik. Unter anderem wird ihr vorgeworfen, PEGIDA den „roten Teppich auszurollen“, nichts gegen PEGIDA-Versammlungen in der Dresdner Innenstadt zu unternehmen und Proteste gegen PEGIDA sogar zu behindern. Der Oberbürgermeister hatte deshalb zwei renommierte Experten um die Überprüfung des Handelns der Versammlungsbehörde gebeten. Insgesamt bescheinigen sie der Versammlungsbehörde, korrekt gehandelt zu haben.
Die Gutachter bestätigen zunächst, dass sich die Versammlungsbehörde streng neutral zu verhalten hat. Schon deshalb dürfe sie nicht dazu beitragen, bestimmte Versammlungen oder Meinungen aus der Stadt zu vertreiben. Ausdrücklich verweisen sie auf grundlegende Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Reichweite der Versammlungsfreiheit und bescheinigen der Versammlungsbehörde, dass es richtig war, versammlungsrechtliche Entscheidungen nicht am politischen Mehrheitswillen zu orientieren.
Bleibe die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit extremen Meinungen aus oder finde sie nicht im gewünschten Umfang statt, könne nicht von der Versammlungsbehörde verlangt werden, kompensierend einzugreifen. Die Versammlungsbehörde könne eben nicht „mit etwas gutem Willen ihre ‚Entscheidungsspielräume‘ nutzen und durch eine ‚demonstrationsfreundliche‘ Bescheidungspraxis der Gegendemonstrationen und eine ‚demonstrationsunfreundliche‘ der PEGIDA-Versammlungen die ausbleibende oder unzureichende politische Auseinandersetzung ersetzen.“
Gerade weil die Versammlungsfreiheit für den politischen Willensbildungsprozess unverzichtbar ist, habe die Versammlungsbehörde den Auftrag, die Versammlungsfreiheit als solche zu beschützen; also nicht nur die Versammlungsfreiheit bestimmter politischer Gruppen. Diesem Auftrag sei die Versammlungsbehörde im gebotenen Maße gerecht geworden. Ihre Bescheidungspraxis, sowohl hinsichtlich PEGIDA-Versammlungen als auch bezüglich der gegen diese gerichteten Demonstrationen, sei versammlungsfreundlich gewesen.
Kritik im Detail – insgesamt aber solide Arbeit der Versammlungsbehörde
Vereinzelte Begründungsmängel in den auf Wunsch des Oberbürgermeisters stichprobenartig besonders intensiv geprüften Bescheiden haben sich zumeist nicht auf das Ergebnis ausgewirkt.
Folgende Begründungsmängel haben die Gutachter im Einzelnen identifiziert:
1. In manchen Bescheiden heißt es, dass es „ein Grundrecht auf eine Gegenveranstaltung in Hör- und Sichtweite [so] nicht gebe“, S. 52, 74, oder dass ein konfrontatives Aufeinandertreffen politisch gegensätzlicher Versammlungen von der Versammlungsbehörde nicht herbeigeführt werden dürfe, S. 94 f.
Allerdings stellen die Gutachter auch fest, dass die Versammlungsbehörde entgegen solcher Äußerungen dennoch stets die vom Selbstbestimmungsrecht des Versammlungsanmelders umfassten Wünsche nach Hör- und Sichtweite zur jeweiligen Anlassversammlung gewährleistet hat, soweit die Gefahrenlage dies zuließ. Da außerdem die Gefahrenlage den Gutachtern zufolge jeweils richtig eingeschätzt wurde, haben sich solche Äußerungen nicht auf das Ergebnis der Bescheide ausgewirkt; S. 52, 54, 75, 96.
2. In einem Bescheid hätte das Versammlungsverbot für eine Eilversammlung nicht damit begründet werden sollen, dass die Anzeigefrist von 48 Stunden nicht eingehalten wurde, weshalb die Gefahrenprognose geringeren Anforderungen unterliege, und dass die Eilversammlung nur vorgeschoben sei, um Störer in die Nähe der Anlassversammlung bringen zu können; S. 69.
Allerdings stellen die Gutachter auch fest, dass die Gefahrenprognose zur Gesamtversammlungslage doch auch das Verbot der Eilversammlung stützte.
3. In einem Bescheid hätte die Versammlungsbehörde die räumliche Verlegung einer PEGIDA-Versammlung nicht damit begründen dürfen, dass der Neumarkt bereits durch eine Wissenschaftsausstellung belegt sei; S. 76.
Unter dem Vorbehalt, dass der Platz für Ausstellung und Versammlung ausgereicht hätte, halten die Gutachter die Verlegung der PEGIDA-Versammlung für falsch; S. 77.
4. Die dauerhafte Untersagung der Versammlungsleitung kann die Versammlungsbehörde nicht aussprechen; S. 88-90.
Die nachfolgenden Einzelverbote waren hingegen gerechtfertigt.
5. Die Untersagung von Zelten hätte nicht bereits mit der Begründung erfolgen dürfen, dass diese nicht wesensnotwendig für die Durchführung der Versammlung seien; vielmehr hätte im Kooperationsgespräch geklärt werden müssen, ob die Zelte bei einer fünfstündigen Versammlung in funktioneller Hinsicht für die Durchführung der Versammlung erforderlich gewesen sind; S. 91 f.
Allerdings können die Gutachter damit nicht ausschließen, dass sich die – vom Verwaltungsgericht Dresden bestätigte – Einschätzung der Versammlungsbehörde, im Ergebnis doch als richtig erweisen konnte; vgl. S. 92.
Trotz der vorgenannten Punkte bleibt festzuhalten: Systematische oder gar grundsätzliche Fehler der Verwaltungspraxis können die Gutachter ausdrücklich nicht feststellen. Ausdrücklich bescheinigen die Gutachter der Versammlungsbehörde insbesondere bezüglich der folgenden Anlässe eine fehlerfreie Arbeit:
- Übergriffe auf Jugendliche am Schauspielhaus; S. 54-55,
- Veranstaltung der Semperoper (Verlegung einer PEGIDA-Versammlung); S. 56-57,
- Rede des Autors Pirinçci am 19. Oktober 2015; S. 60-61,
- GEpiDA-Versammlung am 4. April 2016; S. 69-71,
- Aufrufe vom 26. September 2016 zu einer „Raucherpause“ am 3. Oktober 2016; S. 77-79,
- verbale Ausschreitungen am 3. Oktober 2016; S. 80-83,
- Versammlungslagen am 16. und 17. Oktober 2016.
Im Ergebnis empfehlen die Gutachter dem Oberbürgermeister, sich für eine stärkere Zuständigkeit der Polizei in versammlungsrechtlichen Fragen einzusetzen; S. 99-100. Dann könne er sich als kommunaler Wahlbeamter stärker positionieren und müsse weniger Rücksicht darauf nehmen, zugleich oberster Dienstvorgesetzter der Versammlungsbehörde zu sein.
Der Oberbürgermeister hat sich heute das Gutachten von den Gutachtern erläutern lassen. Voraussichtlich am Montag, 8. Januar 2018 sollen die Gutachter ihre Arbeit auch im zuständigen Ausschuss präsentieren.
Gutachter: Die beiden Juristen, Professor Dr. Ralf Poscher von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und Herr Staatsrat a. D. Michael Kniesel, vormals Polizeipräsident in Bonn, sind Autoren mehrerer Standardwerke zum Polizeirecht und zum Versammlungsrecht. Herr Professor Poscher trat mehrfach als Sachverständiger in versammlungsrechtlichen Fragen vor dem Sächsischen Landtag auf. In den Jahren 2010/2011 vertrat er die Fraktion DIE LINKE., die SPD-Fraktion und die Fraktion DIE GRÜNEN bei ihrem Normkontrollantrag und brachte das Sächsische Versammlungsgesetz vom 20. Januar 2010 zu Fall (SächsVerfGH, Urteil vom 19. April 2011; Az.: Vf. 74-II-10). Herr Kniesel war während seiner aktiven Dienstzeit für die polizeiliche Absicherung bedeutender Versammlungsgeschehen in Bonn verantwortlich.
"Es ist beruhigend, dass das Gutachten die Dresdner Versammlungsbehörde vom Vorwurf entlastet, systematisch rechtswidrig gehandelt zu haben.
Das Gutachten verlangt von der Versammlungsbehörde aber auch, Gegenprotest in deutlich weiterem Umfang zu ermöglichen als bisher. Insofern ist es eine positive Herausforderung für die Stadtverwaltung ebenso für die Dresdnerinnen und Dresdner. Ein wenig schade ist nur, dass die Sachverständigen nicht die Gelegenheit für Gespräche mit unterschiedlichen Anmeldern gefunden hatten. Damit hätten sie sich ein noch umfassenderes Bild machen können."
Nachdem heute in einem Sonderältestenrat das von der Landeshauptstadt Dresden in Auftrag gegebene Gutachten zur Anwendung des Versammlungsrechtes vorgestellt wurde, zieht Fraktionsvorsitzende Christiane Filius-Jehne das Fazit: Zu kurz gesprungen. Thema verfehlt.
„Kern des Anliegens war die Frage einer Ungleichbehandlung von PEGIDA- und Gegendemonstrationen. Der Arbeitsauftrag hierzu war aber deutlich zu gering gefasst. So haben die Gutachter sich ausschließlich auf die Akten und die Aussagen der Versammlungsbehörde gestützt und keine weiteren Gespräche, etwa mit Anmeldern von Versammlungen, geführt. Die eigentlich interessante Frage wurde von dem Gutachten nicht geklärt. Es wurde damit nicht überprüft, inwiefern es bei der Durchführung der Auflagen und der Kontrolle zu Ungleichbehandlungen gekommen ist. Damit wurde das Thema verfehlt! Entsprechende Fragen werden wir in der öffentlichen Ausschusssitzung „Allgemeine Verwaltung“ am 8. Januar stellen. Erfreulich ist allerdings, dass die renommierten Gutachter zu dem Ergebnis gekommen sind, dass symbolische Platzbesetzungen legitim sind und die Behörde umgekehrt beweisen müsste, warum diese nicht zulässig sein sollten – eine Auffassung, die Grüne Fraktion schon lange teilt.“
„Im Wesentlichen wurden die Behördenbescheide lediglich nach Aktenlage geprüft und nicht mit den Anmeldern von Demonstrationen gesprochen, sondern nur mit Vertretern der Behörden. Die entscheidende Frage wurde gar nicht untersucht, weil sie nicht Gegenstand des Auftrags des von der Rathausspitze veranlassten Gutachtens war. Das zentrale Problem besteht in der unzureichenden Kontrolle und Durchsetzung von Auflagen, die in der Praxis dazu führen, dass Rechtsradikale bei ihren Aufmärschen in Dresden unbehelligt bleiben und weitgehende Freiheiten genießen. Der Umstand, dass Bescheide rechtmäßig erlassen werden, tritt in den Hintergrund, wenn gleichzeitig begrenzende Auflagen unkontrolliert bleiben, nicht durchgesetzt werden oder vor Ort auf der Straße entgegen den erlassenen Bescheiden eine Ungleichbehandlung von Nazi-Aufmärschen und zivilgesellschaftlichem Protest erfolgt. Diese Probleme wurden jedoch nicht betrachtet. In diesem Bereich muss angesetzt werden.“