Dresden - Wer krank ist, muss oft Tabletten schlucken. Die Frage ist nur wie viele verschiedene. Rund 107.000 BARMER Versicherte in Sachsen haben im Jahr 2016 fünf oder mehr Medikamente pro Jahr verordnet bekommen. Das geht aus dem aktuellen BARMER Arzneimittelreport 2018 hervor. Experten sprechen ab fünf Medikamentenwirkstoffen von Polypharmazie. „Die gleichzeitige Einnahme von mehreren Medikamenten bedeutet immer auch ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Wechselwirkungen“, sagt Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der BARMER in Sachsen.
Vor allem ältere Menschen mit verschiedenen Erkrankungen müssen häufig mehrere Tabletten einnehmen, dazu manchmal noch Salben, Tropfen oder Sprays. So kommt es fast bei jedem zweiten Rentner zu Polypharmazie, bei den über 80-Jährigen sind es nach Analysen der BARMER bereits 65 Prozent. Es gibt den alleinversorgenden „Hausapotheker“ genauso wenig, wie den alleinverordnenden Hausarzt. Weniger als die Hälfte, nur rund 42 Prozent der sächsischen BARMER-Versicherten mit Polypharmazie, löste ihre Rezepte bei nur einer Apotheke ein, fast 30 Prozent dagegen bei drei oder mehr Apotheken. „Unsere Auswertungen zeigen auch, dass über die Hälfte, mehr als 60 Prozent aller Versicherten unserer Kasse, von mehr als drei Ärzten Medikamente verschieben bekamen. Dadurch wird es natürlich nicht einfacher, unerwünschte Wechselwirkungen zu erkennen“, sagt Magerl.
In Sachsen erhalten Patienten bisweilen unnötig Medikamente mit Nebenwirkungen, etwa Protonenpumpeninhibitoren (PPI). PPI, beispielsweise Omeprazol und Pantoprazol, hemmen die Magensäuresekretion und werden zur Behandlung von Refluxerkrankungen verordnet, sprich dann, wenn Magensäure in die Speiseröhre zurückfließt. Derartige Medikamente können jedoch schwerwiegende Nebenwirkungen verursachen. Laut einer dänischen Studie erhöhen PPI das Herzinfarktrisiko. Bei einer Verordnung sollte daher unbedingt zwischen Nutzen und Risiko abgewogen werden. Laut BARMER-Arzneimittelreport bekamen rund 13 Prozent der sächsischen Versicherten im Jahr 2016 ein derartiges Medikament, nur rund die Hälfte (44 Prozent) jedoch hatte tatsächlich eine Refluxerkrankung. „Das bedeutet, fast jeder zweite Patient wurde grundlos einer potenziellen Nebenwirkung ausgesetzt. Hinzu kommt, dass derartige Medikamente in kleinen Einheiten auch noch frei verkäuflich sind“, so Magerl.
Manche Patienten erhalten laut unserer Studie Arzneimittel, die für sie ungeeignet sind. So raten beispielsweise Leitlinien davon ab, Menschen mit Herzschwäche entzündungshemmende Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac zu verordnen. Diese Patienten sollten Naproxen erhalten. Gut drei Prozent der BARMER-Versicherten aus Sachsen haben eine chronische Herzmuskelschwäche. Von ihnen sind rund 27.600 Patienten multimorbid, das heißt sie leiden noch an mindestens vier weiteren chronischen Erkrankungen. Rund neun Prozent von ihnen wurde dennoch mit Diclofenac und 17 Prozent mit Ibuprofen behandelt. „Da diese Medikamente je nach Dosierung die Sterblichkeit zum Teil signifikant erhöhen können, sollten sie nur mit äußerster Zurückhaltung verordnet werden“ mahnt Magerl.
Alle Patienten, die mindestens drei zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnete Medikamente gleichzeitig und dauerhaft einnehmen, haben Anspruch auf einen Medikationsplan. Die Patienten erhalten diesen von ihrem Hausarzt. Falls kein Hausarzt für die Koordination der ärztlichen Maßnahmen in Frage kommt, erhalten die Patienten den Medikationsplan vom behandelnden Facharzt. Der erstausstellende Arzt ist zur weiteren Aktualisierung verpflichtet, Apotheker aktualisieren auf Wunsch des Versicherten. Ziel dieses Planes ist es, den Patienten bei der richtigen Einnahme ihrer Medikamente zu unterstützen.