
Der Freistaat und die Merz-Milliarden
Was bringt das Finanz-Paket für Sachsen?
Milliardenschwere Investitionen sollen Infrastruktur und Armee auf Vordermann bringen. Was bedeuten die Pläne für Sachsen?
Friedrich Merz’ angestrebte Kanzlerschaft hatte noch nicht einmal begonnen – und stand schon vor der ersten Belastungsprobe. Lang hatte seine Bundesregierung in spe aus Union und SPD mit den Grünen um ein milliardenschweres Finanzpaket gerungen. Denn für die fiskalpolitischen Reformen ist eine Verfassungsänderung notwendig – und für die braucht man eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, die schwarz-rot alleine nicht hat. Am Freitag einigten sich die drei Parteien nach tagelangen Verhandlungen schließlich auf einen Deal.
Damit ist die erste Hürde genommen. Am Dienstag soll der alte Bundestag in einer Sondersitzung die fiskalpolitische Verfassungsreformen formell beschließen. Geplant ist neben zwei Maßnahmen zur unverzüglichen Reform der „Schuldenbremse“ auch ein Sondervermögen über insgesamt 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur.
Gleichzeitig geht auch für Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer das Zittern weiter. Seine Minderheitsregierung muss ihren ersten Doppelhaushalt für 2025 und 2026 durch den Landtag bringen. Dafür muss sie noch mindestens zehn Abgeordnete der Opposition überzeugen. Wie die beiden Gesetzesvorhaben im Bund und im Land zusammenhängen und was die Entscheidung des Bundestages für Sachsen bedeutet, erfahren Sie in unserer Politik-Analyse.
Wo fehlt es in Sachsen an Geld?
Michael Kretschmers Minderheitsregierung steht vor ihrem ersten großen Kraftakt. Um die Staatsfinanzen für die nächsten beiden Jahre zu klären, reichen die 51 Sitze von CDU und SPD im Landtag nicht aus. Es kommt auf die Opposition an. Um den für 2025 und 2026 geplanten Doppelhaushalt durch das Parlament zu bringen, müssen entweder das BSW (15 Sitze) oder Linke und Grüne (zusammen 13 Sitze) dem Vorhaben zustimmen – nur dann klappt es mit einer Mehrheit der 120 Mandatsträger. Eine Kooperation mit der AfD-Fraktion (40 Sitze) scheidet aus: sowohl die in Sachsen gesichert rechtsextreme Partei als auch die Landesregierung haben eine solche Zusammenarbeit wechselseitig ausgeschlossen.
Um schmerzhafte Kürzungen wird die Staatsregierung in jedem Fall nicht herumkommen. Durch die schwächelnde Konjunktur fallen die Steuerschätzungen bescheiden aus: Sachsen kann nur mit 49,6 Milliarden Euro Einnahmen rechnen. Die Ministerien hatten mit 60 Milliarden Euro vorab deutlich höhere Bedarfe angemeldet. Aktuell läuft ein vorläufiger Haushalt. Das ist eine Art Notprogramm bis zur Verabschiedung des Doppelhaushaltes. Sachsen läuft damit quasi auf Sparflamme. Personalkosten sind auf 50% des Vorjahresniveaus gedeckelt, sonstige Ausgaben sogar auf nur 30%. Bis Mitte des Jahres könnte es dabei bleiben.
Denn auch nach zahlreichen Streichungen fehlt Geld in der Staatskasse: 2,3 Milliarden Euro für 2025 und weitere zwei Milliarden für 2026. Um diese Lücke zu schließen, hat Sachsen Finanzminister Christian Piwarz ein Maßnahmenpaket vorgestellt. So sollen unbesetzte Positionen im Landesdienst gestrichen werden, womit sieben Prozent aller Stellen wegfielen. Zuschüsse zum Generationenfond und zu Förderprojekten des Bundes und der Europäischen Union werden gekürzt, die Tilgung der Corona-Kredite gestreckt. Schließlich muss der Freistaat seine finanziellen Rücklagen vollständig aufbrauchen.

Droht Sachsen die Pleite?
Nein. Sachsen steht im Gegenteil sogar finanziell viel besser da als die meisten anderen Länder. Der Freistaat ist mit etwa sechs Milliarden Euro verschuldet. Dazu kommen noch 2,24 Milliarden an Schulden bei den Kommunen. Das entspricht insgesamt einem Schuldenstand von nur 5,7 % des sächsischen Bruttoinlandsproduktes – nur Bayern hat in Deutschland solidere Finanzen (4,7 %). Bei der Staatsverschuldung je Einwohner macht Sachsen mit nur 2000 Euro pro Kopf den Süddeutschen sogar Rang eins streitig.
Zum Verhängnis werden Sachsen aktuell zwei andere Faktoren. Durch die wirtschaftliche Stagnation wachsen die Steuereinnahmen nicht mehr – und damit auch die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich, die schließlich ebenfalls steuerfinanziert sind. In Verbindung mit der Inflation nach dem Energiepreisschock durch den russländischen Angriffskrieg auf die Ukraine seit 2022 läuft das praktisch sogar auf Mindereinnahmen hinaus.
Zweites Problem sind die engen finanzpolitischen Vorgaben für den Haushalt. Denn während der Bund gemäß der Schuldenbremse Kredite in Höhe von 0,35% des BIP pro Jahr aufnehmen darf (Art. 109 Abs. 3 i. V. m. Art 115 Abs. 2 GG) hat Sachsen diesen Spielraum nicht. Zum einen untersagt das Grundgesetz den Ländern die Aufnahme von Krediten (Art. 109 Abs. 3 GG). Zum anderen hat der sächsische Landtag diese Regelung 2013 sogar noch in Landesrecht übertragen und ein Neuverschuldungsverbot in die sächsische Verfassung geschrieben (Art. 95 Abs. 2 SächsVerf). Ausnahmen gibt es dabei nur wenige. Nur bei bestimmten Katastrophenlagen – zum Beispiel während der Coronapandemie – und bei schwächelnder Wirtschaft darf Sachsen aktuell Kredite aufnehmen.

Im zweiten Fall darf der Freistaat jedoch maximal wegfallende Steuereinnahmen teilweise ausgleichen. Für eine echte Konjunkturpolitik um die Wirtschaft durch öffentliche Investitionen wieder in Schwung zu bringen, fehlen Sachsen jedoch die Handlungsspielräume. Doch auch die weniger restriktive Schuldenbremse im Bund wird von der Mehrzahl der Ökonomen mittlerweile abgelehnt, da sie Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und Digitalisierung verhindere und so das Wirtschaftswachstum bremse. Bei den Lösungsvorschlägen gehen die Wirtschaftswissenschaftler auseinander: während einige sogar die Abschaffung der Regelung fordern, halten die meisten zumindest eine Reform für notwendig.
Was planen Union und SPD?
Die Gesprächsführer von Union und SPD im Bund reagieren darauf zunächst mit einem Bündel von Sofortmaßnahmen. Eher für die Bundespolitik wichtig: In Zukunft sollen Verteidigungsausgaben nur noch bis zu einer Höhe von einem Prozent des BIP unter die Schuldenbremse fallen. Alles darüber darf kreditfinanziert werden. Aus sächsischer Sicht interessanter ist jedoch das Sondervermögen Infrastruktur Bund/Länder/Kommunen. Hier sind nämlich 100 Milliarden von insgesamt 500 Milliarden Euro für die Länder und Kommunen vorgesehen. Damit können zusätzliche Investitionen, zum Beispiel für Verkehrswege, Krankenhäuser, Digitalisierung oder Forschung und Entwicklung getroffen werden. Da dieses Sondervermögen eine Laufzeit von zehn Jahren hat und natürlich auf alle 16 Länder aufgeteilt wird, bedeutet das für Sachsen grob gerechnet 500 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für Investitionen pro Jahr.
Diese Gelder darf die Staatsregierung nicht einfach nutzen, um ihren jetzigen Haushalt zu stabilisieren, da sie an zusätzliche Ausgaben gekoppelt sind. Allerdings dürfen Investitionen vorgezogen werden, die man sonst erst in einigen Jahren angegangen hätte. Damit entlastet das Sondervermögen des Bundes indirekt also auch spätere Haushalte. Außerdem verbessern Investitionen in die Infrastruktur die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und machen so in Zukunft Wachstum und damit höhere Steuereinnahmen wahrscheinlich. Spätestens mit Blick auf den nächsten Doppelhaushalt für 2027/28 ist diese Maßnahme also für Sachsen haushalterisch wichtig.
Der zweite für den Freistaat interessante Plan der Bundesregierung ist die Wiedereinführung der strukturellen Neuverschuldung für die Länder. Geplant ist konkret, dass der Art. 109 Abs. 3 im Grundgesetz so angepasst wird, dass für die 16 Länder die gleichen Regeln zur Kreditaufnahme wie für den Bund gelten. Das bedeutet also, dass jedes Jahr Schulden in Höhe von 0,35 % des Bruttoinlandsproduktes gemacht werden dürfen; für Sachsen wären das knapp 550 Millionen Euro an zusätzlichen Krediten pro Jahr. Durch das Neuverschuldungsverbot in der Landesverfassung (Art. 95 Abs. 2 SächsVerf) ist das für den Freistaat aber mit weiteren politischen Schikanen verbunden, die Stand jetzt nur schwer zu überwinden sind.
Heißt das Stillstand für Sachsen?

Anders als andere Länder hat Sachsen die strengen Auflagen der Schuldenbremse im Bund in Landesrecht übertragen. Das heißt: um die strukturelle Neuverschuldung von 0,35 % des BIP nutzen zu können, muss Sachsen jetzt zuerst seine Verfassung ändern. Das geht nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag, also 80 der 120 Stimmen.
Auf der Haben-Seite stehen zunächst die 51 Mandate der Fraktionen von CDU und SPD. Die sächsische Staatsregierung unterstützt den Gesetzentwurf; Ministerpräsident Kretschmer war selbst federführend an den Sondierungen im Bund beteiligt. Dazu kommen noch einige sichere Stimmen aus der Opposition: BSW (15 Sitze), Bündnisgrüne (sieben Sitze) und Linke (sechs Sitze) hatten sich bereits im vergangenen Wahlkampfsommer für eine Abschaffung des Neuverschuldungsverbots ausgesprochen. Macht zusammen also 79 Stimmen.
Keine realistische Option für die Verfassungsreform sind die 40 Stimmen der AfD-Fraktion. Die Partei schließt nicht nur eine Zusammenarbeit mit der sächsischen Regierung aus, sondern ist auch strikt gegen eine Aufhebung des Neuverschuldungsverbots. Damit fällt Mathias Berger als einzigem fraktionslosen Abgeordneten im Landtag die entscheidende Stimme zu. Mit dieser kann die Staatsregierung aber eben nicht rechnen: der parteilose Politiker, der für die Freien Wähler im Landtag sitzt, hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach deutlich gegen eine solche Verfassungsreform ausgesprochen.
Als langjähriger Oberbürgermeister von Grimma kennt Mathias Berger die Probleme, die mit knappen Kommunalkassen und schwierigen Förderanträgen einhergehen. Vor diesem Hintergrund ist seine nonkonformistische Position zum Neuverschuldungsverbot mehr als rätselhaft und scheint in einem mindestens eigenwilligen Verständnis von Haushaltspolitik zu wurzeln. Bereits 2023 hatte Mathias Berger Fragen aufgeworfen, als er in einem Bürgergespräch über einen vermeintlichen Staatsbankrott Deutschlands redete. Bei Ökonomen stieß diese Meinung auf klaren Widerspruch – vor allem aber auf sehr viel Verwunderung. Ungeachtet dessen kommen die demokratischen Fraktionen im Landtag bei Verfassungsreformen nicht an ihm vorbei. Eine Abschaffung des Kreditverbots ist mit den aktuellen Mehrheitsverhältnissen also mehr als unwahrscheinlich.