Bundestagswahl 2025

Taktisch Wählen in Sachsen

Für 59,2 Millionen Wahlberechtigte wird es morgen ernst: in weniger als vierundzwanzig Stunden öffnen die Wahllokale. Für Sachsen ist es die zehnte Wahl zum deutschen Bundestag seit der Wiedervereinigung – und die hat es in sich. Mindestens jeder fünfte Wähler ist noch unentschlossen. Das haben unter anderem die Meinungsforschungsinstitute Insa und Yougov herausgefunden. Auch wenn die Umfragen scheinbar klar in eine Richtung zeigen, könnte es morgen bei der Auszählung also die ein oder andere Überraschung geben.

Das macht die Auswahl für viele Kurz- und Unentschlossene Wählerinnen und Wähler nicht leichter. Wer trotzdem das meiste aus seinen Wahlstimmen herausholen will, sollte außerdem genau auf seinen Wahlkreis schauen. Denn je nach Wohnort kann es Sinn haben, taktisch zu wählen. Alle, die mit diesem Gedanken spielen, haben dazu verschiedene Möglichkeiten. Wir bei Sachsenfernsehen haben die wichtigsten Optionen zusammengefasst.

Die Erststimme: Wer macht das Rennen im Wahlkreis?

Um taktisch zu wählen, lohnt es sich erstmal, genau auf den Wahlzettel zu schauen. Jeder Wähler hat bei der Bundestagswahl zwei Stimmen. Mit der Erststimme wählen wir dabei einen Direktkandidaten in unserem Wahlkreis. Wer die meisten Stimmen hat, gewinnt – alle anderen gehen zunächst leer aus. Wenn Kandidat A in Ihrem Wahlkreis 40% der Stimmen holt, hat er die besten Chancen auf einen Sitz im Bundestag, auch wenn Kandidat B (35%) und Kandidat C (25%) zusammen mehr Stimmen hätten.

Wenn der eigene Wunschkandidat voraussichtlich keine Chance hat, es aber zwischen zwei anderen Leuten auf ein enges Rennen hinausläuft, kann also eine taktische Stimme Sinn ergeben. Um herauszufinden, ob sich das lohnt, kann man zum Beispiel auf die letzten Wahlergebnisse schauen. Die hat zum Beispiel der Freistaat Sachsen für 2017 und 2021 online veröffentlicht. Wer nachsehen will, welcher Kandidat im Moment die Nase vorn hat, dem helfen zum Beispiel die Meinungsforschungsinstitute INSA oder Yougov. Hier sollte man etwas vorsichtig sein: natürlich kann nicht für jeden einzelnen der 299 Bundestagswahlkreise in Deutschland eine eigene repräsentative Umfrage erstellt werden. Deswegen treffen die Institute verschieden Vorannahmen für ihre Prognosen. Das heißt also: Die Modellrechnungen für die Wahlkreise sind keine Umfragen im eigentlichen Sinne und daher auch mit größeren Unsicherheiten verbunden. Wer wissen möchte, welcher von zwei möglichen Kandidaten die besseren Chancen hat, kann sich trotzdem grob an ihnen orientieren.

Im Moment sieht es in den meisten Wahlkreisen in Sachsen nach einem Zweikampf zwischen den Kandidaten der CDU und der AfD aus. Hier kann es sinnvoll sein, sich zwischen diesen Optionen zu entscheiden. In den Großstädten gibt es allerdings einige Wahlkreise, in denen auch andere Kandidatinnen und Kandidaten gute Chancen haben. Zum Beispiel verteidigt Sören Pellmann (Die Linke) seinen Wahlkreis im Leipziger Süden (Wahlkreis Leipzig II), den er 2017 und 2021 jeweils gewinnen konnte. Die Stadt Chemnitz hingegen wird mit Detlef Müller von einem SPD-Abgeordneten repräsentiert, der ebenfalls für den Wiedereinzug ins Parlament antritt. Im Leipziger Norden (Wahlkreis Leipzig I) hatten bei den letzten Bundestagswahlen auch Kandidaten von SPD und Linkspartei gute Chancen – INSA und Yougov sehen diesmal jedoch CDU und AfD klar vorne. Im Dresdner Süden  (Wahlkreis Dresden I) schließlich verpasste Katja Kipping (Die Linke) 2021 nur knapp ein Direktmandat. Allerdings ist unklar, ob ihre weniger bekannte Nachfolgerin Funda Römer (Die Linke) diesmal die gleichen guten Chancen hat. Es lohnt sich also, genau hinzuschauen, um im eigenen Wahlkreis einen aussichtsreichen Direktkandidaten zu unterstützen.

Bei der Bundestagswahl 2021 gingen die meisten Wahlkreise in Sachsen an AfD und CDU.

Neues Wahlrecht: Das läuft 2025 anders

Bei der Bundestagswahl 2025 gilt zum ersten Mal ein neues Wahlrecht. Das wurde eingeführt, weil das Parlament zuletzt von Wahl zu Wahl immer größer geworden ist. Um das in Zukunft zu verhindern, wurden einige Regelungen geändert, die man auch beim Wählen auf dem Schirm haben sollte.

Das wichtigste zuerst: Es gibt keine Direktmandate mehr. Der Kandidat, der einen Wahlkreis gewinnt, hat zwar nach wie gute Chancen auf einen Sitz im Bundestag. Knappe Wahlkreissieger können dabei aber leer ausgehen. 

Wie viele Sitze eine Partei im Bundestag bekommt, entscheidet nämlich nicht die Erst-, sondern die Zweitstimme. Mit der wählen wir eine Partei – genauer gesagt eine Liste mit verschiedenen Kandidaten. Theoretisch kann es also passieren, dass eine Partei sehr viele Wahlkreise gewinnt, aber nur ein schwaches Zweitstimmenergebnis holt. Früher gab es für diesen Fall Ausgleichsmandate. Das heißt, die anderen Parteien bekamen so lange zusätzliche Sitze im Bundestag, bis das Verhältnis zwischen den Parteien im Parlament wieder zu den Zweitstimmen passte. Allerdings führte das dazu, dass der Bundestag insgesamt gewachsen ist – zuletzt auf 735 Abgeordnete. In Zukunft soll bei 630 Leuten Schluss sein. Das heißt aber umgekehrt, dass nur die stärksten Wahlkreissieger einer Partei in das Parlament einziehen können, wenn die Partei nicht genügend Zweitstimmen bekommt.

Wer also einen Sitz im Bundestag für den eigenen Wahlkreis perfekt machen will, sollte also ebenfalls einen der aussichtsreichen Kandidaten unterstützen. Mit 35% ist der Einzug ins Parlament viel wahrscheinlicher als mit 25%.

Nach wie vor gilt hingegen die Grundmandatsklausel. Das ist eine Art Ausnahmeregel für Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Gewinnt die Partei drei Wahlkreise, darf sie dann trotzdem in den Bundestag einziehen. Das ist zuletzt 2021 passiert, als Die Linke so knapp den Wiedereinzug in den Bundestag schaffte. In Sachsen ist das für alle Wählerinnen und Wähler im Wahlkreis Leipzig II wichtig: Wer will, dass die Linkspartei im Bundestag bleibt, kann sie hier mit einer Direktstimme an den Wahlkreiskandidaten Sören Pellmann zusätzlich absichern. Umgekehrt kann man  der Partei den Einzug ins Parlament natürlich auch schwer machen, indem man stattdessen einen der aussichtsreichen Herausforderer von CDU oder AfD wählt.

 — © Die Linke
Die Linke
Sören Pellmann (Die Linke) sicherte seiner Partei vor dreieinhalb Jahren den Wiedereinzug in den Bundestag. Im Wahlkreis Leipzig II tritt er zur Wiederwahl an.

Die Zweitstimme: auch für den Wahlkreis wichtig

Mit der Zweitstimme kann man ebenfalls Kandidaten aus dem eigenen Wahlkries unterstützen. Hat der Wunschkandidat zum Beispiel kaum eine Chance, den Wahlkreis zu gewinnen, steht aber vorne auf der Landesliste, kann folgendes Manöver Sinn haben: man wählt seine Partei mit der Zweitstimme und "borgt" die Erststimme an einen Kandidaten mit besseren Chancen. Solange die Partei es ins Parlament schafft, ist der Einzug in den Bundestag dann in vielen Fällen so gut wie sicher. Informationen zu den Landeslisten und Direktkandidaten gibt es zum Beispiel auf der Website der Bundeswahlleiterin.

Wer gezielt Abgeordnete aus der Region stärken will, kann seine Zweitstimme auch extra einer Partei geben, die einen Kandidaten vor Ort unterstützt. Philipp Hartewig (FDP) zum Beispiel konnte durch das starke Zweitstimmenergebnis seiner Partei 2021 als zweiter mittelsächsischer Abgeordneter in den Bundestag einziehen. Folgende Direktkandidatinnen und Direktkandidaten gehören zwar nicht zu den Favoriten in ihren Wahlkreisen, haben aber gute Chancen, es über die Landesliste ins Parlament zu schaffen:

 

Bundestagswahlkreis 151 Leipzig I

Holger Mann (SPD), Listenplatz 2

 

Wahlkreis 152 Leipzig II

Paula Piechotta (GRÜNE), Listenplatz 1

Nadja Sthamer (SPD), Listenplatz 5

 

Wahlkreis 155 Bautzen I

Susanne Kathrin Michel (SPD), Listenplatz 1

Caren Lay (LINKE), Listenplatz 2

 

Wahlkreis 158 Dresden I

Torsten Herbst (FDP), Listenplatz 1

Kassem Taher Saleh (GRÜNE), Listenplatz 2

Rasha Nasr (SPD), Listenplatz 3

 

Wahlkreis 159 Dresden II – Bautzen II

Clara Bünger (LINKE), Listenplatz 3

Merle Spellerberg (GRÜNE), Listenplatz 3

 

Wahlkreis 160 Mittelsachsen

Philipp Hartewig (FDP), Listenplatz 2

 

Wahlkreis 163 Erzgebirgskreis I

Ulrike Harzer (GRÜNE), Listenplatz 3

 — © JuliA Sachsen
JuliA Sachsen
Philipp Hartewig sitzt seit 2021 für die sächsische FDP im Bundestag. In seinem Wahlkreis Mittelsachsen hat er kaum Chancen gegen AfD und CDU. Die Landesliste ist seine Chance zur Wiederwahl.

Für Risikofreudige: die Leihstimme

Die komplizierteste Art, taktisch zu wählen, ist die Leihstimme. Leihstimme das bedeutet kurzgesagt, die Zweitstimme nicht seiner "Lieblingspartei" zu geben, sondern sie an eine andere Partei "auszuleihen", um die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu verschieben.

Wer Friedrich Merz, nach Stand der Umfragen Favorit auf einen Sieg im Rennen ums Kanzleramt, schwächen möchte, kann dazu zum Beispiel BSW wählen. Schafft es die Partei von Sarah Wagenknecht in den Bundestag, erhalten alle anderen Parteien prozentual weniger Sitze im Parlament. Das kann dazu führen, dass CDU und CSU einen zweiten Koalitionspartner brauchen, um eine Regierung mit eigener Mehrheit zu bilden. Statt einer Großen Koalition oder Schwarz-Grün müsste Friedrich Merz dann eine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen eingehen – und in den Verhandlungen ein paar eigene Projekte mutmaßlich hintenanstellen.

Wer wiederum keine Lust auf diese mögliche Regierung hat, könnte der FDP mit seiner Stimme den Wiedereinzug ins Parlament sichern. Eventuell reicht es dann trotz BSW im Bundestag auch für eine Jamaika- (Union, FDP und Grüne) oder Deutschlandkoalition (Union, SPD und FDP).

Egal in welche Richtung es geht: Leihstimmen sind riskant. Denn welche Koalitionen die Parteien bilden – und ob überhaupt eine Mehrheitsregierung zustande kommt – hat man als Wähler am Ende vom Tag nicht in der Hand. Da überrascht es nicht, dass CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz in diesem Wahlkampf sogar ausdrücklich von Leihstimmen an die FDP abgeraten hat.

Grundsätzlich sollte man vor lauter Taktik beim Wählen seine eigenen politischen Präferenzen nicht vergessen. Das gilt übrigens auch für Anhänger kleinerer Parteien, die keine realistische Chance auf den Einzug in den Bundestag haben: für Volt, Die Partei und Co. geht es ab 0,5% der Zweitstimmen zumindest um die Erstattung der Wahlkampfkosten. Es gilt: Umso mehr Stimmen, desto mehr Geld.

expand_less